Verunsichern statt Klären - ist das das Motto des IQWiG?

Am 04.11.2010 hat das IQWiG behauptet, dass Paukenröhrchen zur Behandlung von Paukenergüssen nur kurzfristig einen positiven Behandlungserfolg hinsichtlich des Hörvermögens von Kindern hätten. Der grundsätzliche Nutzen dieser Behandlungsform wird vom IQWiG in Zweifel gezogen.

Die IQWiG-Publikation fußt auf einer Übersetzung einer britischen Originalarbeit. Dabei wird weder in der Originalarbeit noch in der deutschen Publikation des IQWiG klar, inwiefern die Autoren HNO-spezifisches Fachwissen mitbringen. Dieses wird daran deutlich, dass bestimmte HNO-Begrifflichkeiten in der deutschen Übersetzung permanent vermischt und durcheinandergebracht und schließlich deswegen gefährlich falsche Schlussfolgerungen gezogen werden.

Anders als im Englischen wird im Deutschen nicht von einer chronischen Entzündung (Otitis) gesprochen. Eine chronische Otitis media ist hierzulande vielmehr eine nicht abheilende Trommelfellperforation mit und ohne Ohrsekretion.

Unter diesen Gesichtspunkten ist es sehr bedenklich, wenn das IQWiG in seiner Veröffentlichung die Begriffe Paukenerguss und chronische Mittelohrentzündung unpräzise gebraucht und mehr oder weniger permanent verwischt. Das ist für eine sachliche Diskussion außerordentlich schädlich.

In der englischen Originalarbeit wurde zum Beweis für eine etwaige Nutzlosigkeit von Paukenröhrchen bei einer Otits media with effusion (OME!) darauf hingewiesen, dass keine signifikanten Unterschiede im Hörvermögen von Kindern nach einem halben Jahr mehr zu finden gewesen seien. Dabei wird nicht angegeben, wie alt die untersuchten Kinder gewesen sind und wie die angegebenen Hörtests durchgeführt worden sind. Jeder in Klinik und Praxis tätige HNO-Arzt weiß, wie schwierig ein normaler Hörtest (Tonaudiogramm) bei kleinen Kindern ist. Die statistische Streuung der Angaben im klassischen Tonaudiogramm dürfte vermutlich über 20 dB liegen. Zuverlässiger erhält man daher Auskunft über den Zustand des Mittelohres durch eine genaue Ohrinspektion und Messung des Mittelohrdruckes (Tympanometrie), diese Verfahren wurden jedoch in der Publikation nicht angegeben.

Es wird sowohl im englischen Original als auch in der IQWiG-Publikation allein auf die Ergebnisse der tonaudiometrischen Untersuchungen verwiesen. Das ist wegen der damit verbundenen Unsicherheiten der Methode in dem betroffenen Altersbereich grob fahrlässig. Die fehlende Altersangabe zu den untersuchten Kindern macht die Aussage der Publikation wissenschaftlich wertlos.

Darüber hinaus fehlt in der IQWiG-Publikation der Hinweis des englischen Originals, dass Ergebnisse von Paukendrainagen hinsichtlich anderer Aspekte als des Hörvermögens für die langfristige Entwicklung von Kindern fehlen und dass keine Studie vorliegt, die den Effekt von Paukendrainagen bei Kindern mit bestehenden Sprech-, Sprach-, Lern- und Entwicklungsstörungen untersucht hat. Genau diese Komplikationen werden jedoch nach deutscher HNO-Lehrmeinung mit einem zähen Paukenerguss in Verbindung gebracht.

Durch diese Unterschlagung geht eine entscheidende Einschränkung der Aussage der englischen Originalpublikation für den deutschen Leser verloren. Das ist, neben der unsauberen und verwischenden Begriffsverwendung, der zweite gravierende, systematische Fehler der IQWiG-Publikation.

Zusammenfassend kann vor einer weiteren Veröffentlichung der genannten IQWiG-Publikation nur dringend gewarnt werden. Der Artikel bedarf mindestens einer grundlegenden Überarbeitung. Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, bieten dem IQWiG hierzu gerne ihre Zusammenarbeit an.

Durch die Publikation des Artikels in der jetzigen Form, die von der Presse bereits aufgegriffen wurde, entsteht beim medizinischen Laien der Eindruck, Paukenröhrchen seien als Behandlungsoption bei Mittelohrproblemen in ihrem Nutzen generell fragwürdig. Selbstverständlich ist die Indikation zur Anlage von Paukendrainagen stets kritisch zu stellen.

Hinsichtlich der Entwicklung der beschriebenen Komplikationen wäre der Verzicht auf Einsatz von Paukenröhrchen aufgrund der leichtfertigen Aussagen des IQWiG-Artikels aus Sicht des BVHNO und der DGHNO ein ärztlicher Kunstfehler. Lapidar auf die Notwendigkeit weiterer Studien zu verweisen, greift entschieden zu kurz.

Hier finden Sie eine ausführliche Stellungnahme!Dr. med. Jan LöhlerDirektor des Wissenschaftlichen Institutsfür angewandte HNO-Heilkunde (WIAHNO)Deutscher Berufsverbandder Hals-Nasen-Ohrenärzte

 

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