Hörsturz: Beim Wattegefühl im Ohr schnell zum HNO-Arzt

Empfinden Menschen plötzlich ein Watte-Gefühl im Ohr, welches das Hörvermögen deutlich einschränkt, könnte ein Hörsturz dahinter stecken. "Ein Hörsturz ist eine innerhalb von Sekunden oder Minuten auftretende Hörminderung im Innenohr, die in der Regel nur ein Ohr betrifft", erklärt Prof. Karl Hörmann von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Bonn. Dabei handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. "Wenn die Ursache für den Hörverlust geklärt ist, zum Beispiel eine Mittelohrentzündung oder ein Knalltrauma, spricht man nicht von einem Hörsturz, sondern nur dann, wenn man keinen anderen Grund gefunden hat."

Bei einem Hörsturz sind die Sinneszellen des Innenohrs in ihrer Funktion gestört, Schallsignale über den Hörnerv an das Gehirn weiterzuleiten. "Hierfür gibt es eine große Anzahl theoretischer Erklärungsversuche. So werden im Bereich des Innenohrs Sauerstoffmangel oder Stoffwechselstörungen vermutet ebenso wie Durchblutungsstörungen in engen Blutgefäßen", erläutert Dr. Michael Deeg vom Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte. "Aber definitive, eindeutige Belege für die Ursachen eines Hörsturzes gibt es nicht."

Hoher Blutdruck, hohe Cholesterin- und Fettwerte sowie Diabetes scheinen einen Hörsturz jedoch zu begünstigen. "Sicherlich besteht auch ein Zusammenhang zwischen Stress und Hörsturz, aber das hängt von der Fähigkeit der einzelnen Menschen ab, mit Belastungssituationen umzugehen", meint Prof. Hörmann. "In der Regel ist der Hörsturz ein einmaliges Ereignis, aber bei wenig belastbaren Menschen kann sich das Innenohr zum Stressorgan entwickeln, so dass ihre Hörkurve bei größeren Anspannungen immer wieder absinkt."

Am häufigsten tritt ein Hörsturz um das 50. Lebensjahr auf, wobei die Hörminderung unterschiedlich stark ausfallen kann. "Es ist möglich, dass sie nur den Hoch-, Tief- oder Mitteltonbereich betrifft oder aber alle Frequenzen gleichzeitig und im schlimmsten Fall zur Ertaubung führt", so Prof. Hörmann. Begleitende Symptome können Ohrgeräusche (Tinnitus) und Schwindel sein. Manche Betroffene nehmen Töne, Geräusche und Stimmen verfremdet wahr oder hören sie doppelt, weil das eine Ohr plötzlich schlechter funktioniert als das andere.

Wer Veränderungen beim Hören bemerkt, sollte schnell einen Hals-Nasen-Ohrenarzt aufsuchen. Die Heilungschancen sind am größten, wenn man innerhalb der ersten drei Tage handelt. Zwar kommen große Studien zu dem Ergebnis, dass bei etwa 40% aller Betroffenen der Hörsturz von selbst wieder abheilt. Ohne Behandlung tritt bei weiteren 40% aber keine Besserung ein, und bei 20% verschlechtert sich der Hörzustand sogar noch.

Da die Ursachen unklar sind, gibt es auch keine vollständig erwiesenen Therapiemöglichkeiten. "Einen hohen Stellenwert hat heute die Behandlung mit Kortison, das zu den körpereigenen Hormonen zählt und theoretischen Überlegungen zufolge Entzündungen und Schwellungen im Innenohr bekämpfen soll", empfeihelt Dr. Deeg. Kortison kann in Form von Tabletten oder Infusionen verabreicht werden. "Der Arzt kann es auch direkt in das Mittelohr einführen, indem er mit einer sehr dünnen Kanüle durch das Trommelfell hindurch pikst." Dadurch gelangt das Kortison in höherer Konzentration vom Mittel- ins Innenohr. Mögliche Nebenwirkungen sind Magenprobleme, Bluthochdruck und erhöhte Blutzuckerwerte.

Infusionen, die den Blutfluss verbessern sollen, sind eine weitere Behandlungsmöglichkeit, die vor allem früher angewandt wurde. "Ihr Nutzen ist seit einiger Zeit umstritten", sagt Dr. Deeg. "Zudem kann ein wichtiges Basismittel, Hydroxyethylstärke (HES/HAES), zu Juckreiz oder allergischen Reaktionen führen." Speziellere und aufwendigere Therapien wie die Apherese, eine Art Blutreinigung, oder die hyperbare Sauerstofftherapie kommen in der Regel nur infrage, wenn die Behandlung mit Kortison oder Infusionen nicht anschlägt.

Liegt der Hörsturz vor allem an Stress oder bleiben Restsymptome wie Tinnitus und Schwerhörigkeit bestehen, reicht eine medizinische Behandlung allein nicht aus. "Eine begleitende Verhaltens- und Psychotherapie und das Erlernen von Entspannungsübungen kann Betroffenen sehr weiterhelfen", rät Bärbel Bonorden aus Goslar. Sie leitet eine Selbsthilfegruppe, die sich auch an Hörsturz-Betroffene richtet und in der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL) organisiert ist.

Aber aus Scham und Angst überspielen viele ihre Hörprobleme. "Das ist ein großes Problem, denn ohne richtiges Hören ist man sehr einsam, es kommt schnell zu unausgesprochenen Missverständnissen, und das Vertuschen raubt sehr viel Energie", warnt Bonorden. Letztlich führe kein Weg daran vorbei, das Problem bei Partnern und Freunden offen ansprechen. Der Austausch mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe kann helfen, den Mut dafür aufzubringen. Quelle: dpa

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