Das Fazit der Teilnehmer des Europäischen Kongresses für Klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ECCMID) war eindeutig: Der Umgang mit der Neuen Influenza war keine Panikmache, sondern durchaus angemessen. Man habe zum Zeitpunkt des Ausbruchs im Frühjahr 2009 nicht sagen können, wie sich das Virus H1N1 entwickelt, erklärten Wissenschaftler im Rahmen der gerade zu Ende gegangenen Tagung in Wien. Der ECCMID ist der größte Kongress zum Thema Infektionskrankheiten in Europa, der dieses Jahr als einen Schwerpunkt den Umgang mit der Schweinegrippe hinterfragte.
Es sei gefährlich, die Schweinegrippe-Welle rückblickend als kümmerlich abzutun, warnte Prof. Albert Osterhaus, Virologe und Mitentdecker der Vogelgrippe bei Menschen, gleich zum Auftakt des ECCMID. Er betonte, dass die Krankheit zwar insgesamt milde verlaufen sei, aber gerade bei jungen Menschen eine überraschend hohe Sterblichkeit hatte. Dies zeige das Gefahrenpotenzial, daher gilt laut Osterhaus: „Öffentliche Gesundheitseinrichtungen müssen sich auf das Schlimmste vorbereiten und auf das Beste hoffen." Das H1N1-Virus hätte sich genauso wie die Spanische Grippe entwickeln können, der im Jahr 1918 weltweit mehr als 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen. An der Neuen Influenza starben laut offizieller Stellen mehr als 17.500 Menschen.
Nach Meinung der in Wien zusammen kommenden Wissenschaftler haben u.a. Aufklärungskampagnen und das schnelle Impfen die Grippewelle in Mitteleuropa so leicht verlaufen lassen. Neue Studien beleuchten dabei auch die Rolle von sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook als Frühwarnsysteme und Indikatoren für die regionale Verbreitung. Britische Forscher fanden beispielsweise innerhalb von vier Monaten mehr als eine Million „Tweets" (Mitteilungen) beim britischen Twitter, in denen Nutzer von Symptomen berichten. 2.900 Menschen teilten dabei ihrer Umgebung wörtlich mit: „Ich habe Schweinegrippe."
Am Umgang mit der Neuen Grippe kritisierten Osterhaus und Kollegen die weltweit völlig ungleiche Verteilung von Impfstoffen, zumal Millionen für den Ernstfall produzierte Impfdosen ungenutzt blieben. „Manche Länder hätten jeden ihrer Einwohner doppelt impfen können während andere gar nichts zur Verfügung hatten", sagte Osterhaus. Allein in der EU hatte es 27 verschiedene nationale Wege gegeben, mit der Bedrohung umzugehen - dies müsse künftig vereinheitlicht werden.
Generell halten die Experten die Kritik an Impfstoffherstellern, zu schnell zu viele Impfdosen produziert zu haben, für unzutreffend. Auch die Impfung bestimmter Risikogruppen wie Klinikpersonal sei richtig gewesen. „Wer weiß, wie viele Leben wir damit gerettet haben", so Osterhaus. Nach Schätzungen sind inzwischen 300 Millionen Menschen gegen H1N1 immunisiert, die befürchteten Nebenwirkungen seien so gut wie nicht eingetroffen.
Für die kommende Grippesaison warnen die Experten vor Nachlässigkeit. Häufig sei die saisonale Grippe nach dem Ausbruch einer Pandemie schlimmer als in den Jahren zuvor, da sie durch neues Genmaterial „gestärkt" werde. „Wir werden uns auf mehr als ein Szenario vorbereiten müssen, Wachsamkeit ist gefragt", betonte der Präsident der Europäischen Gesellschaft für Klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten, Prof. Javier Garau, in Wien.